Die Lage in Aquin
Die Gemeinde von Aquin im Département Sud von Haiti liegt 138 km entfernt von Port-au-Prince, der Hauptstadt von Haiti. Sie zählt um die 70.000 Einwohner auf einer Fläche von 620 Quadratkilometern, was einer Bevölkerungsdichte von 113 Bewohnern pro Quadratkilometer entspricht.
Die wirtschaftlichen Aktivitäten sind so gut wie lahmgelegt, und die Arbeitslosigkeit unter den Jugendlichen liegt bei mehr als 70%. Die Beschäftigungsmöglichkeiten sind gering. Der Großteil der Bevölkerung dieser Küstenstadt lebt von Fischfang, Einzelhandel, ein wenig vom Bildungswesen und von der Landwirtschaft und von einigen wenigen Jobs im öffentlichen Dienst.
Was Bildung und Soziales betrifft, so gibt es 200 Grundschulen, zwischen 10 und 20 Sekundarschulen; eine davon ist ein Gymnasium. Insgesamt gibt es zu wenig ausgebildete Lehrer und eine große Zahl von Kindern, die gar nicht erst eingeschult worden sind.
Es gibt in dieser Stadt mit mehr als 60% junger Leute unter 25 Jahren keine einzige Bibliothek. Der Etat von Haiti verfügt über keine finanziellen Mittel für die Unterstützung und Förderung von Jugendlichen. Es gibt in dieser Gemeinde für Jugendliche keinerlei „Rahmen“, weder ein Kulturzentrum, noch Sportplätze. Wie überall auf Haiti wird die Bevölkerung sich selbst überlassen - und damit im Stich gelassen. Es gibt so gut wie keine Freizeitaktivitäten. Einige wenige Jugendliche spielen etwas Fußball, eigentlich DER Nationalsport Haitis. Hinzukommt ein völlig neues Phänomen: das Desinteresse der Jugendlichen am Lernen. Sie ziehen dem Lernen für die Schule das Herumhängen auf der Straße vor oder verlassen die Schule nach den ersten Grundschulklassen.
Zum anderen erlebt die Stadt ein beunruhigendes Ansteigen der Jugendkriminalität. Es gibt exzessiven Alkoholkonsum; Drogen werden zum gängigen Zahlungsmittel. Die sexuelle Gewalt unter Jugendlichen nimmt stetig zu; die jungen Mädchen werden immer öfter Opfer von Vergewaltigungen. All diese negativen Ist-Zustände fördern Prostitution und HIV/SIDA in Aquin.
Auf Gesundheitsebene bieten einige wenige Gesundheitseinrichtungen nur sehr beschränkte Pflegeangebote. Die vielen Frühschwangerschaften stellen in Aquin bereits ein größeres Problem dar. Die meisten Jugendlichen, die sich in so einer Situation befinden, schaffen es nicht ohne Intervention ihrer ebenfalls sehr armen Eltern, das Problem in den Griff zu bekommen. Die Verletzlichkeit dieser jungen Mütter setzt sie großen Risiken aus, weiß man doch, dass Armut und Not die Faktoren sind, die den neuen weiblichen Rahmen für HIV/SIDA darstellen.
In der Arbeit auf diesem Gebiet hat Haiti Projet Education mit großer Beunruhigung den beträchtlichen Anstieg von PVVIH (personnes vivants avec le VIH/SIDA = Personen, die mit HIV/SIDA leben) festgestellt, speziell bei Frauen, deren Partner nichts über das HIV-positiv-Leben kennen. Die jungen Haitianer wissen fast nichts über diese Geißel der Menschheit, und es gibt auch keinerlei Programm, um sie für dieses Thema zu sensibilisieren. Größere Organisationen, die solche Vorsorgearbeit leisten, sind in Aquin nicht vertreten. Haiti Projet Education ist hier die einzige Organisation die versucht, den Jugendlichen einen Rahmen zu geben und mit ihnen eine einigermaßen dauerhafte Erziehungs- bzw. Schulungsarbeit zu leisten.
Seit dem großen Erdbeben von 2010 ist die Situation natürlich noch schwieriger. Aquin hatte Glück im Unglück und ist nicht in einem solchen Ausmaß wie z.B. die Hauptstadt zerstört. Dennoch gibt es auch in der Kleinstadt Überfüllung und chaotische Zustände, denn viele traumatisierte Menschen kehrten aus dem völlig zerstörten Port-au-Prince mit leeren Händen in ihre Heimat Aquin zurück. Dutzende von traumatisierten Kindern kommen zurück, mit oder ohne Eltern, und es gibt keine einzige Institution oder Gruppierung, die sich ihrer annimmt, auch gibt es keinen einzigen Psychologen.
Natürlich ist die Bevölkerung damit beschäftigt, etwas zu essen und zu trinken zu ergattern. Es existiert allerdings eine große Solidarität in der Stadt. Die Leute teilen miteinander alles, was sie besitzen.
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